Die Kunst des Mahlens: Vom Korn zum perfekten Mehl

Die Kunst des Mahlens: Vom Korn zum perfekten Mehl
Das Mahlen von Getreide ist eine der ältesten menschlichen Kulturtechniken. Was einst mühsame Handarbeit war, ist heute ein hochpräziser Prozess, der uns mit dem Grundnahrungsmittel Mehl versorgt. Doch wie verwandelt sich ein hartes Getreidekorn in feines Mehl? Tauchen wir ein in die Welt der Getreidekunde und Vermahlung.
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Die Anatomie des Getreidekorns: Mehr als nur Hülle und Kern
Bevor wir über das Mahlen sprechen, müssen wir das Ausgangsprodukt verstehen: das Getreidekorn. Jedes Korn, sei es Weizen, Roggen oder Dinkel, besteht aus drei Hauptbestandteilen, die für die Vermahlung und die spätere Qualität des Mehls entscheidend sind:
- Kleie (Schale): Die äußere Schicht des Korns. Sie ist reich an Ballaststoffen, Vitaminen und Mineralien. Bei der Vermahlung wird sie oft abgetrennt, um helles Mehl zu erzeugen. Für Vollkornmehl bleibt sie jedoch erhalten.
- Keimling: Der Embryo des Korns, aus dem eine neue Pflanze wachsen könnte. Er enthält wertvolle Fette, Vitamine und Enzyme. Der Keimling ist jedoch auch anfällig für Oxidation, was die Haltbarkeit des Mehls beeinflussen kann.
- Mehlkörper (Endosperm): Der größte Teil des Korns, der hauptsächlich aus Stärke und Proteinen (Gluten) besteht. Dieser Teil ist das Herzstück des Mehls und bestimmt maßgeblich dessen Backeigenschaften.
Das Verständnis dieser Komponenten ist entscheidend, denn der Mahlprozess zielt darauf ab, diese Teile voneinander zu trennen und den Mehlkörper zu zerkleinern.
Historische Entwicklung des Mahlens: Von Handmühlen zu Hightech-Anlagen
Die Geschichte des Mahlens ist eng mit der Entwicklung der Zivilisation verbunden. Von den ersten Reibesteinen bis zu den heutigen Industriemühlen hat sich viel getan:
Die Anfänge: Reibesteine und Mörser
Bereits in der Steinzeit nutzten Menschen einfache Reibesteine, um Getreide zu zerkleinern. Später kamen Mörser und Stößel zum Einsatz. Diese Methoden waren extrem arbeitsintensiv und lieferten grobes, ungleichmäßiges Mehl.
Die Ära der Mühlen: Wasser, Wind und Dampf
Mit der Erfindung der Rotationsmühlen und der Nutzung von Wasser- und Windkraft revolutionierte sich das Mahlen. Wassermühlen und Windmühlen ermöglichten eine effizientere und größere Produktion von Mehl. Im 19. Jahrhundert kam die Dampfmaschine hinzu, die eine noch größere Unabhängigkeit von Naturkräften bot und den Weg für industrielle Mühlen ebnete.
Moderne Vermahlung: Walzenstühle und Präzision
Heute dominieren Walzenstühle die industrielle Mehlproduktion. Sie bestehen aus mehreren Paaren von Stahlwalzen, die sich mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten drehen. Dies ermöglicht eine schrittweise Zerkleinerung und Trennung der Kornbestandteile. Der Prozess ist hochpräzise und ermöglicht die Herstellung verschiedener Mehltypen mit spezifischen Eigenschaften.
Der Mahlprozess im Detail: Eine Reise durch die Mühle
Der Weg vom Korn zum Mehl ist komplex und erfordert mehrere Schritte. Moderne Mühlen sind wahre Wunderwerke der Technik.
1. Reinigung des Getreides
Bevor das Mahlen beginnt, muss das Rohgetreide gründlich gereinigt werden. Dies geschieht in mehreren Schritten, um Verunreinigungen wie Steine, Staub, Strohreste oder Fremdsamen zu entfernen. Dazu werden Siebe, Aspirateure (Luftstromreiniger) und Entsteiner eingesetzt.
2. Konditionierung (Netzen)
Nach der Reinigung wird das Getreide befeuchtet oder genetzt. Dieser Prozess, auch Konditionierung genannt, macht die Kleie elastischer und spröder, was ihre spätere Trennung vom Mehlkörper erleichtert. Gleichzeitig wird der Mehlkörper geschmeidiger, was die Zerkleinerung optimiert und die Mehlqualität verbessert.
3. Der Schrotprozess (Brechen)
Das konditionierte Getreide gelangt nun in die ersten Walzenstühle, die sogenannten Schrotwalzen. Diese Walzen haben eine geriffelte Oberfläche und drehen sich mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Sie zerbrechen das Korn sanft und lösen die Kleie vom Mehlkörper. Es entstehen Schrotpartikel, die aus Mehlkörper, Kleie und Keimling bestehen.
4. Siebung und Sichtung
Die geschroteten Partikel werden anschließend gesiebt. Durch unterschiedlich feine Siebe werden die groben Schrotteile von den feineren Mehl- und Grießpartikeln getrennt. Größere Schrotteile werden zu weiteren Walzenstühlen geleitet, während die feineren Anteile in den nächsten Mahlabschnitt gelangen. Hier kommen auch Sichtmaschinen zum Einsatz, die leichtere Kleiepartikel durch Luftstrom von den schwereren Mehlpartikeln trennen.
5. Der Ausmahlprozess (Passagieren)
Die Mehl- und Grießpartikel durchlaufen nun weitere Walzenstühle, die sogenannten Glattwalzen. Diese Walzen sind glatt und drehen sich ebenfalls mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Sie zerkleinern die Grießpartikel schrittweise zu feinem Mehl. Dieser Prozess wird mehrfach wiederholt, wobei nach jedem Walzengang gesiebt und gesichtet wird, um die gewünschte Feinheit und Reinheit des Mehls zu erreichen.
6. Mehlmischung und Lagerung
Am Ende des Mahlprozesses werden die verschiedenen Mehlfraktionen, die in den einzelnen Passagen gewonnen wurden, je nach gewünschtem Mehltyp (z.B. Weizenmehl Type 405, 550, 1050 oder Vollkorn) gemischt. Das fertige Mehl wird dann in Silos gelagert, bevor es verpackt und ausgeliefert wird.
Mehltypen und ihr Mahlgrad: Was die Zahlen bedeuten
Die Typenzahlen auf Mehlverpackungen (z.B. Type 405, 550, 1050) geben den Mineralstoffgehalt (Aschegehalt) des Mehls in Milligramm pro 100 Gramm Trockenmasse an. Je höher die Typenzahl, desto mehr Schalenanteile und damit Mineralstoffe sind im Mehl enthalten. Dies beeinflusst nicht nur den Nährwert, sondern auch die Backeigenschaften:
- Type 405 (Weizen): Sehr helles Mehl, kaum Schalenanteile. Ideal für feine Backwaren, Kuchen und helle Soßen. Geringster Mineralstoffgehalt.
- Type 550 (Weizen): Standardmehl für Brot und Brötchen. Etwas mehr Mineralstoffe als Type 405, gute Backeigenschaften.
- Type 1050 (Weizen) / 1150 (Roggen): Dunkleres Mehl mit höheren Schalenanteilen. Für kräftige Brote, dunkle Brötchen und würzige Backwaren. Hoher Mineralstoffgehalt.
- Vollkornmehl: Das gesamte Korn wird vermahlen, einschließlich Kleie und Keimling. Enthält alle Ballaststoffe, Vitamine und Mineralstoffe des Korns. Ergibt sehr gehaltvolle und aromatische Backwaren. Keine Typenzahl, da der gesamte Kornanteil enthalten ist.
Der Mahlgrad, also die Feinheit des Mehls, spielt ebenfalls eine Rolle. Feines Mehl bindet Flüssigkeit schneller und führt zu einer feineren Krume, während groberes Mehl mehr Wasser aufnimmt und eine rustikalere Struktur erzeugt.
Praktische Tipps für Hobbybäcker und Getreide-Enthusiasten
Auch wenn wir zu Hause keine Industriemühle betreiben, können wir vom Wissen über das Mahlen profitieren:
1. Die richtige Mehlwahl
Wählen Sie das Mehl passend zu Ihrem Backvorhaben. Für einen luftigen Kuchen ist Type 405 ideal, für ein rustikales Sauerteigbrot greifen Sie besser zu Type 1050 oder Vollkornmehl. Experimentieren Sie mit verschiedenen Typen, um die Unterschiede zu schmecken und zu fühlen.
2. Lagerung von Mehl
Mehl sollte trocken, kühl und lichtgeschützt gelagert werden. Besonders Vollkornmehl ist aufgrund seines höheren Fettgehalts (aus dem Keimling) anfälliger für Verderb und sollte schneller verbraucht oder im Kühlschrank gelagert werden.
3. Selbst mahlen für frische Aromen
Wer die Möglichkeit hat, kann Getreide auch zu Hause mahlen. Kleine Getreidemühlen für den Hausgebrauch sind eine lohnende Investition. Frisch gemahlenes Mehl ist aromatischer und nährstoffreicher, da die wertvollen Bestandteile erst kurz vor der Verarbeitung freigesetzt werden. Beginnen Sie mit Weizen oder Dinkel für einfache Brote oder Gebäck.
4. Experimentieren mit Schrot und Grieß
Nicht nur Mehl, auch Schrot und Grieß sind wertvolle Produkte des Mahlprozesses. Schrot eignet sich hervorragend für vollwertige Brote mit Biss, während Grieß die Basis für Pasta, Klöße oder Desserts wie Grießbrei bildet. Verstehen Sie die Unterschiede und nutzen Sie sie in Ihrer Küche.
Fazit: Eine Tradition, die uns nährt
Das Mahlen von Getreide ist weit mehr als nur ein mechanischer Prozess. Es ist eine jahrtausendealte Kunst, die sich ständig weiterentwickelt hat und uns heute mit einer unglaublichen Vielfalt an Mehlen versorgt. Indem wir die Grundlagen der Getreidekunde und des Mahlprozesses verstehen, können wir nicht nur bewusster backen, sondern auch die Wertschätzung für dieses essenzielle Handwerk vertiefen.
Nächstes Mal, wenn Sie ein Stück Brot genießen, denken Sie an die faszinierende Reise, die jedes einzelne Korn hinter sich hat, um zu diesem nahrhaften und köstlichen Lebensmittel zu werden.
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